Sacco di Roma und die Vorgeschichte

Der Weg in die Katastrophe (Einführung)

Plünderung (Sacco) Roms durch Söldner Karls V., nachdem ihm Papst Clemens VII. das Bündnis absprach.


Franzosenkönig Franz I. und der deutsche Kaiser Karl V. führten Krieg  um die Herrschaft Oberitaliens. Nach anfänglicher Neutralität in diesem Konflikt näherte sich Papst Clemens VII. in den folgenden Jahren der Seite Karls V. 1526 beendete er die  Allianz mit ihm und schloss sich der Liga Cognac von Franz I. an. Dieser Wechsel hatte schwere Konsequenzen für den Papst und die Stadt Rom.

Der Sacco di Roma (italienisch sacco, veralteter Ausdruck für "Plünderung") in den Wochen nach dem 6. Mai 1527 war die Plünderung Roms durch deutsche, spanische und italienische Söldner Kaiser Karls V. im Zuge seines Krieges gegen die Liga von Cognac, ein Bündnis zwischen Frankreich, dem Papst sowie Mailand, Florenz und Venedig.

Der 1519 gewählte aber noch immer ungekrönte Kaiser konnte trotz seines Sieges in der Schlacht bei Pavia 1525 seine Truppen in Norditalien nicht mehr angemessen besolden. Die deutschen, zunächst von Georg von Frundsberg geführten Landsknechte, darunter viele Protestanten sowie die spanischen und italienischen Söldner mussten sich zwei Jahre lang aus den Besitzungen der gegnerischen Städte und des →Kirchenstaates selbst versorgen. Nach einem Schlaganfall Frundsbergs und dem Tod ihres Oberbefehlhabers Charles de Bourbon führerlos geworden und auf Entlöhnung drängend, stürmten sie schliesslich Rom und belagerten die Engelsburg, wohin sich Papst Clemens VII. (→P-Park, Erweiterte Themen: Päpste, ihre Pontifikate A-G) mit Angehörigen der Kurie und den verbliebenen 42 Schweizergardisten zurückgezogen hatte. Die Stadt wurde wochenlang ausgeraubt und verwüstet. Der Sacco di Roma gilt als ein Höhepunkt kriegerischer Gewaltexzesse durch schlecht versorgte und nicht mehr kontrollierbare Söldnerheere. (Wikipedia)

Persönlichkeiten, die in das Unternehmen "Sacco di Roma" verwickelt waren:

König, Kaiser, Papst und Söldnerführer

  • König Franz I. von Frankreich (*1494, +1547), Renaissancefürst, Ritterkönig genannt. Er schloss eine Allianz mit dem Papst, weil Clemens VII. die Hosen wechselte. Des Königs Hilfe war eine Enttäuschung.
  • Kaiser Karl V. (*1500, +1558), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Angehöriger des Herrschaftshauses Habsburg. Der Papst VII. wandte sich von ihm ab. Karls steigende Macht war für Clemens VII. ungemütlich.
  • Papst Clemens VII. (*1475, +1534), mit bürgerlichem Namen Giulio de Medici, war bemüht, die weltliche Macht des Papsttums und der Familie Medici zu erhöhen. Seine politischen  Unsicherheiten führten u. a. zum Sacco di Roma.
  • Charles de Bourbon trat 1521 wegen Bevorzugung eines anderen Heerführers und dem Tod von Suzanne de Bourbon-Beaujeu aus den Diensten seines legitimen Herrn, dem Franzosenkönig Franz I. Er verliess ihn  in der Stunde der Not und schlug sich auf die Seite von Karl.
  • Georg von Frundsberg, der Vater der Landsknechte, in voller Rüstung. Im Gegensatz zu seinem landläufigen Image war der Condottiere (Söldnerführer) aus Mindelheim kein roher Schlagtot, sondern um die Begrenzung von Gewalt und Zerstörung bemüht. Er stand im Dienste des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Bild aus "Blutiger Karneval" von Volker Reinhardt.

Mit 22'000 heruntergekommenen Söldnern gegen Süden

Auszüge aus "Blutiger Karneval" von Volker Reinhardt

Seite  47: Am 12. Dezember 1526 überreichte der spanische Gesandtschaftssekretär Juan Pérez in Anwesenheit des Papstes den Kardinälen ein Schreiben Karls V. vom 6. Oktober 1526, in dem der Kaiser die Kirchenfürsten dazu aufforderte, ein Konzil einzuberufen, vor dem sich Papst Clemens rechtfertigen sollte.

  • Seite 48: Herzog von Urbino (Condottiere des Kirchenstaates) hatte sich längst mit Bourbon (Heerführer des deutschen Kaisers Karl V.) auf einen Pakt  'Leben gegen Geld' geeinigt: 20'000 Dukaten als Preis für seine Begnadigung und Aufnahme in den kaiserlichen Rat. Mit dieser Summe bekam der Feldherr sein Heer wieder flott: eine starke Besatzung unter Leya blieb in Mailand, der Rest zog Frundsberg entgegen. Am 7. Februar 1527 trafen die beiden kaiserlichen Verbände bei Piacenza zusammen. Das gemeinsame Heer war gut 22'000 Mann stark, davon waren etwas mehr als die Hälfte deutsche Landsknechte (lutherischen Glaubens), ein knappes Viertel Spanier, der Rest Italiener. Das Heer begann am 22. Februar 1527 den Marsch nach Süden.

Landsknechte im frühen 16. Jahrhundert: Fahnenträger, Trommler und Pfeifer könnten darauf hinweisen, dass es sich um eine Werbegruppe handelt, die neue Söldner sucht.

Des Papstes verführerische Dukatensummen

  • 49: Am 25. Januar 1527 war der kaiserliche Gesandte Cesare Fieramosca mit den Bedingungen für einen Waffenstillstand in Rom eingetroffen. Im Ton verbindlich, ja beschwichtigend, waren die Klauseln in der Sache hart. Papst Clemens VII. sollte den Colonna (WA: das bedeutendste stadtrömische Adelsgeschlecht) die diesen zwischenzeitlich entrissenen Besitzungen zurückgeben und 200'000 Dukaten zahlen. Das war für diesen Papst ein harter Schlag. So wurde die Unterzeichnung um einige Tage aufgeschoben, während derer ein Waffenstillstand vereinbart wurde. Die päpstlichen Truppen aber gingen zum Angriff über und brachten den Spaniern bei Frosinone eine Niederlage bei.
  • 50: Von der Zahlung der 200'000 Dukaten war jetzt keine Rede mehr. Neapel angreifen, lautete stattdessen die Parole. Kurz darauf aber kamen neue Nachrichten aus Frankreich, die unmissverständlich zum Ausdruck brachten, dass Franz I. seine Mitgliedschaft in der Liga ruhen zu lassen gedachte. Neue Truppen waren von ihm  nicht zu erwarten, eilig angestellte Bilanzierungen ergaben, dass er gerade einmal 9'000 Dukaten gezahlt hatte.

    51: Im Vatikan aber hatte wieder einmal die Stunde der Euphorie geschlagen. Am 25. März 1527 kam Lannoy, Karls Generalbevollmächtigter, und segnete den Pakt ab, am 29. ratifizierte (einen völkerrechtlichen Vertrag in Kraft sezten) ihn der Papst. Mochten die frankreichfreundlichen Ratgeber auch einwenden, das Ganze sei eine Ente, um den →Pontifex maximus  seinen Alliierten zu entfremden, Clemens VII. kannte in seiner Erleichterung kein Halten mehr. Er stellte alle Kampfhandlungen ein und entliess bis auf zweihundert Infanteristen und hundert Berittene sämtliche Truppen.

Meuternde Söldner in Bologna

Im Feldlager von Bologna aber spitzte sich die Lage dramatisch zu.  Wie Frundsbergs Sekretär Adam Reissner als Augenzeuge festhielt, standen die Truppen unmittelbar vor der totalen Rebellion. Ihre Wut sei so gross gewesen, dass sie alle Hauptleute totzuschlagen planten. Um die Katastrophe zu verhindern, berief Frundsberg am 16. März 1527 eine Zusammenkunft ein und spielte seine ganze, in Jahrzehnten gewachsene Autorität aus.

Urs Graf, Versammlung von Reisläufern. Federzeichnung um 1515. Aus "NZZ Geschichte, Land der Söldner". Prof. Groebner, Universität Luzern, bezeichnet die Schweizer Söldner in einem Radiointerview als "Hochqualitätskiller".

Er beschwor die Landsknechte, nicht so kurz vor dem Ziel aufzugeben, vor der Bedrohung durch die Feinde ganz zu schweigen. Geld, und zwar mehr, als sie sich träumen liessen, stehe in Aussicht. Man müsse es nur noch abholen, und zwar in Rom.

Das magische Wort war damit ausgesprochen. Man konnte es so und so deuten  - dass der Papst, über dessen unermessliche Reichtümer die kühnsten Gerüchte im Schwange (in der Verbreitung) waren, zahlen werde. Oder dass man selbst zur Tat, d. h. zur Plünderung schreiten werde. Doch selbst diese lockende Parole zündete nicht. Die Landsknechte liessen sich nicht beschwichtigen. Sie schrieen "Geld, Geld!" und drangen mit gezückten Spiessen (lange, zugespitzte Stange) gegen ihren Anführer vor. In diesem Augenblick stockte Frundsbergs Rede. Der riesige, mit herkulischen (besonders starken) Körperkräften ausgestattete Mann begann zu schwanken und brach zusammen. Einseitige Lähmung und Sprachverlust: Den "Vater der Landsknechte" hatte ein Schlaganfall niedergestreckt. 

Auf ins Goldland Rom

  • 53: Der Kommandant war vom Schlag getroffen, jetzt hatte die Stunde der Soldaten geschlagen. So war dieser Heerhaufen  nur noch in eine Richtung lenkbar: in das sagenhafte Goldland Rom. Gegenteilige Befehle würden nicht mehr befolgt werden - umso weniger, als Frundsberg endgültig ausfiel.
     
  • 53: Am 29. März 1527 teilte Bourbon (erfolgreicher französischer Heerführer, der bis 1521 dem französischen König und danach dem deutschen Kaiser Karl V. diente. Er wechselte die Hosen.) Lanney (kaiserlicher Offizier und Vertrauter von Karl V.) und Clemens VII. mit, dass er unter diesen Umständen den Zug nach Süden nicht aufhalten vermöge - und verlangte im selben Schreiben eine Aufstockung der vom Papst zu zahlende Summe auf 150'000 Dukaten. War auch das nur eine Finte (Vorwand, Täuschung)?  Wohl kaum. Alles spricht dafür, dass für Bourbon die Abfindung durch eine annehmbare Soldzahlung eine valable Option blieb.
     
  • 54: Für Rom war sie die einzige noch verbliebene Chance. Der zur Untätigkeit verdammte Generalkommissar der päpstlichen Truppen liess in seinem Brief vom 29. März 1527 an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Papst und Kurie müssten fliehen, sterben oder zahlen. Das sah jetzt auch Clemens VII. ein. Er zahlte die vereinbarten 60'000 Dukaten, mit denen Lannoy sich am 3.  April auf den Weg zu Bourbon machte.
     
  • Dieser war schon vier Tage zuvor nach Süden weitergezogen.
    Im Einzelnen lauteten die Konditionen wie folgt: 80'000 von diesen 150'000 Dukaten sofort, worauf der Vormasch gestoppt würde; die restlichen 70'000 dann gewissermassen als Wegzehrung für die Söldner Richtung Heimat.

Unverzüglich 240'000 Dukaten auf den Tisch

  • Als sie Bourbon am 21. April 1527 schliesslich zwanzig Kilometer südlich, bei Pieve Sannto Stefano, trafen, waren die ausgehandelten Konditionen schon nicht mehr aktuell: 240'000 Dukaten, und zwar sofort, lautete jetzt die kategorische Forderung. Sonst werde Florenz geplündert.
     
  • 55: Als die Nachricht von der abermaligen Erpressung in Rom eintraf, sah selbst Clemens VII. ein, wer die Katze und wer die Maus in diesem Spiel war. Als der Papst am 18. April 1527 von der Peterskirche den Gründonnerstag-Segen spendete, kam es zu einem Zwischenfall. Ein nur mit einem Lendenschutz bekleideter Bussprediger namens Brandano kletterte auf eine Säule und verkündete mit Stentorstimme (stimmgewaltiger Held der griechischen Sage) eine bestürzende Weissagung: Rom werde wegen der Sünden des Papstes, dieses verfluchten Bastards (nicht eheliches Kind) und Sodomiten (Geschlechtsverkehr mit Tieren), binnen 14 Tagen zerstört werden, falls dieser nicht seine Verfehlungen bekenne und sich bekehre.

Der Geiz ist grösser als die Angst

Einer der wenigen, die sich von der Panik nicht anstecken liessen, war ausgerechnet Clemens VII. Offenbar gewann jetzt der Geiz die Oberhand über die Angst. Mit 240'000 Dukaten war das Mass des Erträglichen überschritten. Rein finanztechnisch stand ausser Frage, dass eine solche Summe in einer Stadt wie Rom zu beschaffen war - zumindest theoretisch. Allein das Vermögen der Kardinäle war ein Vielfaches wert. Zudem hätte Clemens gegen entsprechende Sicherheiten weitaus höhere Kredite von den florentinischen und genuesischen Banken beziehen können, und zwar binnen kürzester Frist. 
 

  • 56: Die Medici-Päpste hatten das Patriziat (Duden: Gesamtheit der altrömischen adeligen Geschlechter) ihrer Heimatstadt seit 1513 gründlich vor den Kopf gestossen. Nicht nur, dass Florenz unter ihrer Herrschaft de facto (tatsächlich) die Selbständigkeit verlor, die Bevollmächtigten, mittels  derer Leo X. und Clemens VII. die stolze Stadt am Arno regierten, gebärdeten sich überdies ebenso arrogant (anmassend) wie autokratisch (unumschränkt). Und der Pfründensegen, auf den so viele gehofft hatten, ging nur auf einen ausgesuchten Kreis von Familienmitgliedern und engsten Vertrauten  nieder: Florenz, so die bündigste Diagnose, war in den Händen einer kleinen, eigennützigen Clique.

April 1527: Plündende Söldner von Florenz nach Rom

  • 57: Bourbon rief seine in der ländlichen Umgebung von Florenz plündernden Verbände zusammen und zog weiter Richtung Rom. Dort hatte der siegesgewisse Papst am 25.  April 1527 den Märzpakt formell annulliert und Bourbon mit der Exkommunikation gedroht, falls er weiter gegen die Ewige Stadt vordringe. Doch diese geistliche Waffe erwies sich als stumpf.
     
  • Bourbons Männer waren inzwischen so ausgehungert, dass sie Rind von den Bäumen schälten und unreife Mandeln verschlangen. Antreiben musste man sie jetzt nicht mehr. Die Alternative lautete nur noch: Rom oder Tod. Die Römer konnten sich in letzter Minute freikaufen, zu einem Preis, der täglich, wenn nicht stündlich weiter stieg.
     
  • Die Seelenlage des Papstes in diesen letzten April- und ersten Maitagen aber war selbst für seine nächste Umgebung unerklärlich heiter. Renzo Orsini wurde jetzt endlich aufgefordert, die zum Schutz der Ewigen Stadt nötigen Verteidigungsmassnahmen zu ergreifen; auch seine Einschätzung der Lage fiel optimistisch aus. An den massiven Aurelianischen Mauern und den von ihm angeworbenen 4'000 Mann würden sich Spanier wie Deutsche schon die barbarischen (grausamen) Schädel einrennen. 

Der 4. und 5. Mai 1527 mit Überheblichkeiten

Orsini war siegesgewiss, dass er dem Heere der Liga am 4. Mai ausrichten liess, grössere Kontingente würden zum Schutz der Stadt gar nicht benötigt: falls verfügbar, würden ein paar Hundert Bogenschützen als Verstärkung völlig ausreichen. Ebenfalls am 4. Mai 1527 wurde Bourbons Aufforderung an Clemens VII., ihm freien Durchmarsch Richtung Neapel und Verpflegung zu gewähren, zurückgewiesen, obwohl die kaiserliche Vorhut am Abend desselben Tages auf Büchsenschussweite (Schüsse mit Geschützrohren) an die Aurelianischen Mauern herangerückt war.

5. Mai 1527: Vor dem Angriff so schnell wie möglich Leitern zusammenhämmern

Da die Unterhändler ausblieben, war der Sturmangriff am nächsten Morgen beschlossene Sache. In höchster Eile mussten jetzt Leitern fabriziert werden, mit denen man die Mauern überwinden wollte. Bis zum Morgengrauen wurde unablässig gehämmert und gezimmert.

Kaiserliche Vorhut auf Büchsenschussweite vor der Aurelianischen Mauer bei der Porta Asinaria. Im Bild sind heute gut erkennbar zwei der 383 Wehrtürme und die Bögen des integrierten Aquäduktes der Aqua Claudia.

  • 58: Ein Bote Bourbons, der am 5. Mai 1527 genaue 300'000 Dukaten forderte, wurde nicht einmal mehr einer Antwort gewürdigt.
     
  • 58: Späher meldeten, dass die Verteidiger Roms nicht sonderlich zahlreich, geschweige denn kriegstüchtig seien. Doch das musste sich erst noch erweisen. Ganz abgesehen davon, dass jede Schlacht ihre eigene Dynamik entwickelte; falls die ersten Angriffe zurückgeschlagen wurden, konnte für diese jetzt schon erschöpfte Truppe Bourbons niemand mehr garantieren. Die grosse Unbekannte aber war das Heer der Liga. Dass es ebenfalls Richtung Rom unterwegs war, stand ausser Frage. Doch zu welchem Zeck? Bestand der feindliche Masterplan darin, die Deutschen und Spanier auf Hungermärschen ihre Kräfte vergeuden und die Falle danach zuschnappen zu lassen? Drängende Fragen, ungewisse Antworten. Die Entscheidung wurde dem Kommandanten schliesslich abgenommen.

Die Söldner erleben die Realität des Krieges auf dem Schlachtfeld. Federzeichnung von Urs Graf, 1521. Aus NZZ: Geschichte, Land der Söldner.

  • 59: Auf der anderen Seite konnte niemand ahnen, dass Clemens den Freikauf bis zum Schluss verweigern würde; im Gegenteil, nach den Regeln der politischen Vernunft wäre fest mit der Bereitstellung eines solchen Lösegeldes  zu rechnen gewesen. - Seiner eigenen Logik folgend, war Clemens VII. auch noch unbesorgt, als er am 5. Mai 1527 die Landsknechte vom Vatikan aus zum Gianicolo (Hügelzug südlich an den Vatikan grenzend)  marschieren sah. Er wollte den Morgen der Entscheidung im Vatikan, für den Sieg betend, verbringen.

Der 6. Mai und die Lage in Rom

  • 59: Über das, was am 6. Mai 1527 geschah, liegen die unterschiedlichsten Quellen vor: Briefe der Angreifer und ihre späteren Aufzeichnungen, Berichte der Opfer und deren Erinnerungen.

Am frühen Morgen des 6. Mai 1527: Speere gegen Mauern - Charles de Bourbon gibt das Zeichen zum Kampf. Die Söldner rüsten sich.
Aus "Blutiger Karneval" von Volker Reinhardt.

  • 60: Der längste Tag: Der zwischen 270 und 275 n. Chr. erbaute Aurelianische Mauerring umschloss eine Fläche, die nur zum kleineren Teil besiedelt war. Vor allem im Osten und im Süden, bei den grossen Pilgerkirchen San Giovanni in Laterano, Santa Maria Maggiore und Santa Croce in Gerusalemme bestand Rom aus  Weinbergen, Obstgärten, Pinienheinen und Ruinenödland. Das eigentliche Wohngebiet der Ewigen Stadt war im Laufe der nach antiken Jahrhunderten immer näher an den Tiber und damit an Stadtteile gerückt, die in augustinischer Zeit überwiegend für Tempel und andere Repräsentationsbauten allmählich verfielen und seit der Plünderung der Stadt durch den Normannenherzog Robert Guiscard im Jahre 1084 unbenützbar geworden waren. Mit dem langsamen Übergang der Stadtherrschaft  an die Päpste ab dem 6. Jahrhundert hatte zudem die Gegend um den Mons Vaticanus stetig an Bedeutung gewonnen. Schon Kaiser Konstantin hatte über den dort gelegenen Gräberfeldern die Basilika des Petrus errichten lassen, die mit der Zeit zu einer ebenso riesenhaften wie verwinkelten Kirchenstadt angewachsen war. 1527 war  allerdings deren Kernstück bereits abgerissen - und der Neubau, der sich seit der Grundsteinlegung im Jahre 1506 auf dem geheiligten Boden der alten Basilika erheben sollte,  nicht über kahle Kuppelpfeiler und isolierte Stützmauern hinausgediehen.

Mai 1527: Der Neubau der Peterskirche: Was die prächtigste Basilika der Welt werden sollte, endet auch ohne Zutun der Plünderer als Trümmergrundstück. Aus "Blutiger Karneval" von Volker Reinhardt.

Weiter fortgeschritten waren die neuen Palastanlagen Julius II. unmittelbar neben der Baustelle, die sich gleichfalls an ein Gewirr älterer päpstlicher Wohngebäude anschlossen.

  • 62: Bei den Ausläufern des →Gianicolo boten sich den Augen der kaiserlichen Offiziere Gärten und Weinberge, innerhalb des Borgo labyrintisch verschlungene Gassen. Auf demselben Tiberufer wie der Borgo, doch von diesem durch unbebautes Terrain getrennt, lag der Stadtteil Trastevere, nach offizieller Zählung der dreizehnte und letzte der römischen rioni (von lateinisch regio). Im Norden und Westen von den Aurelianischen Mauern geschützt, grenzte er in südlicher und östlicher Richtung an den Fluss, den man über den Ponte Sisto und zwei weitere Brücken überqueren konnte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tiber lagen die übrigen zwölf rioni und damit drei Viertel der Ewigen Stadt.

Wo soll der Angriff erfolgen?

Wo angegriffen werden sollte, war mit dem Marsch des kaiserlichen Heeres zum Gianicolo bereits entschieden worden: an der Westseite des Borgo. Hier richtete sich das Augenmerk vor allem auf den Abschnitt zwischen den Stadttoren der Porta Torrione (heute Cavallageri, rund 200 Meter links des heutigen Petersplatzes, sie steht nicht  mehr) und der Porta Santo Spirito (steht noch zwischen der Piazza della Rovere am Tiber, entlang des Spitals S. Spirito zur Via Borgo S. Spirito); an dieser Stelle waren ein gutes halbes Jahr zuvor schon die Truppen der Colonna eingedrungen. Bei den vom päpstlichen Oberkommandierenden angeordneten Mauerinspektionen aber war kein Reparaturbedarf vermerkt worden.

Angriff am frühen Morgen des 6. Mai

Beim frühesten Morgenlicht begann der Sturm, und zwar mit drei Finten (Täuschungen) und einer Stossrichtung. Ablenkungsmanöver befahl Bourbon im Norden, bei der Milvischen Brücke, dem nach Trastevere führenden Stadttor San Pancrazio sowie am Borgo bei der Porta Pertusa. Das Ziel der ersten Attacke aber war das Mauerstück um die Porta Santo Spirito. Mit dem Beginn der Angriffe hatte sich dichter Nebel ausgebreitet; er reduzierte die Sichtweite auf wenige Meter. Das war ein entscheidender Vorteil für die Kaiserlichen. Die Artilleristen auf der Engelsburg konnten Freund und Feind nicht unterscheiden und waren daher zur Untätigkeit verdammt; auf den Mauern aber standen nur kleinere Feldschlangen (Feldgeschütze mit relativ langem Rohr) und Arkebusen (Handfeuerwaffen). Trotzdem wurden die beiden Angriffswellen zurückgeschlagen.

Der eigentliche Angriff begann frühmorgens bei der Porta Santo Spirito, die man heute noch von der Piazza della Rovere am Tiber Richtung Vatikan durchschreiten kann. Bild aus dem frühen 20. Jahrhundert.

  • 63: Die Verteidiger mussten ja nur die Behelfsleitern, die von den deutschen und spanischen Söldnern an die Mauern gelehnt wurden, umstossen. Solange diese nicht erstiegen waren, konnten die Waffen der Landsknechte - langer Spiess (Stichwaffe, die nicht geschossen wird), kurzes und grosses Schwert - kaum Wirkung entfalten; auf der anderen Seite waren Arkebusenschüsse im Nebel riskant und richteten unter den eigenen Leuten ebenso viel Schaden an wie unter den Feinden. Seltsamerweise fühlte sich just in diesem entscheidenen Moment eine Abordnung des römischen Stadtadels bemüssigt, Friedensverhandlungen einzuleiten. Orsini konnte sie nur nach erregten Debatten daran hindern, sich das Stadttor öffnen zu lassen. Doch die drei Abgesandten aus dem römischen Stadtadel gaben nicht auf. Und sie erhielten im päpstlichen Hauptquartier, wo die engsten Berater Clemens VII. Medici zwischen Hoffen und Bangen schwankten, sogar einen offiziellen Auftrag. Ausführen aber liess er sich nicht mehr, denn die Ereignisse hatten zwischenzeitlich eine entscheidene Wendung genommen.

Die ersten Rückschläge

  • Die ersten Rückschläge hatte Bourbon mehr als alles andere gefürchtet. So konnte es nicht weitergehen, andernfalls würde die Moral seiner Männer untergraben. Und so führte er selbst den nächsten Sturm an vorderster Stelle an. An der Mauer angekommen, traf ihn eine der wenigen abgefeuerten Kugeln; sie durchschlug die Hüfte und verletzte innere Organe. Bourbon wusste, dass es um ihn geschenen war, doch er behielt seine Geistesgegenwart. Er befahl, seinen Körper zuzudecken; die Römer sollten nicht sehen, dass der feindliche General  todwund war. Danach versank er in Agonie (ein Todeskampf), aus der ihn der Tod nach wenigen Stunden erlöste.

Verblüffende Entdeckung der Spanier

  • 64: Die Landsknechte und ihre spanischen Kollegen nahmen die Sache selbst in die Hand und zwar auf ihre Weise. Die deutschen Verbände stürmten wütender als zuvor gegen die Mauern  von Santo Spirito, wo nach dem Fall Bourbons viel weniger Verteidiger standen. Die Spanier aber hatten etwas weiter oben eine verblüffende Entdeckung gemacht. Unweit der Porta Torrione hatte ein Handwerker seine Werkstatt in die Mauer hineingebaut, und zwar mit einem Fenster, das nur notdürftig mit Brettern vernagelt war. Der erste Spanier, der hindurchkletterte, traute seinen Augen nicht. Er stieg durch einen Keller, gelangte über die Treppe in die gepflegten Palastgärten des Kardinals Paolo Cesi - und war im Borgo (WA: unmittelbar rechts der Porta Torrione).

6. Mai um 07.30 Uhr morgens

  • 65: Um dieselbe Zeit, gegen halb acht Uhr morgens, als immer mehr Spanier durch die inzwischen verbreiterte Bresche eindrangen, hatten die Landsknechte unter Klaus Seidensticker die Mauerkrone bei Santo Spirito erstiegen. Siegern wie Verlierern prägte sich das Bild dieses Hauptmanns unauslöschlich ein: wie er die letzten Verteidiger mit seinem grossen Schlachtschwert von der Kuppe fegte und die Geschütze umdrehte, gegen den Borgo und den Papst. Unaufhaltsam strömten die Angreifer jetzt hinein.

Tödlich getroffen, angeblich duch eine Kugel aus der Hand des Goldschmieds und Bildhauers Benvenuto Cellini,  stürzt Bourbon vom Befestigungsturm (Torrione, heute Cavalleggeri). Der Borgo brennt bereits, obwohl die Angreifer die Mauern noch gar nicht gestürmt haben. Aus "Blutiger Karneval" von Volker Reinhardt.

Der Tod von Bourbon sollte die Angreifer völlig lähmen. Doch es kam anders, die Nachricht von seinem Sturz verbreitete sich wie ein Lauffeuer, allerdings mit unerwarteten Folgen. Die Verteidiger nämlich glaubten, die Schlacht gewonnen zu haben, und stimmten Siegesgesänge an; im Vatikan dankte der Papst für die himmlische Errettung. Ein allgemein anerkannter Anführer war nicht mehr verfügbar; der junge Philibert de Chalon, Prinz von Oranien, trat zwar formell an Bourbons Stelle, doch die Autorität des Moribunden (im Sterben liegenden) konnte er nicht gelten machen. Doch die Angreifer  wurden durch den Verlust ihres Kommandanten nicht entmutigt, sondern zum Äussersten getrieben.  Jetzt trat ein, was Klaus Seidensticker im Lager von Bologna vorhergesagt hatte.

Sacco di Roma vom 6. Mai 1527: So rückten die Angreifer vor - Die Karte zeigt die Abfolge der Stadteroberung und damit zugleich die Versäumnisse der Verteidiger:

Feld 1

(auf dem Angriffsplan links oben): Westlicher Angriff durch die Porta Pertosa (heute in der Vatikanmauer unterhalb des Johannesturms). Angriff bis zur Peterskirche und den Museen.

Feld 2

(auf dem Angriffsplan in der Mitte):  Über die Porta Aurelia erfolgte  die Bereitstellung der Söldnertruppen auf dem Gianicolo zum Angriff. Hier befand sich das Hauptquartier von Söldnerführer Bourbon (vermutlich bei der Kirche Sant' Onofrio). Im Bild die Porta San Pancrazio, wo eine Finte stattfand (Feld 2).

Feld 3

(auf dem Angriffsplan oben Mitte) Erst um 08.30 Uhr erfolgte ein Angriff über die Porta Santo Spirito (Besetzung des Vatikans und des Borgos). Am frühen Nachmittag eroberten die Söldner das Trastevere über die Porta Settimania.

In verschiedenen Tagesetappen verlief die Eroberung des Stadtgebietes links des Tibers, z. B. über die Porta Settimania und die Engelsbücke. Finten (Täuschungen) fanden statt: an der Milvische Brücke, in San Pancrazio und an der Porta Pertusa Borgo.

Leibgardisten kämpfen am frühen Vormittag und fallen

  • 66: Auf erbitterten Widerstand trafen sie nur noch da, wo die Schweizergarde und die Cavalleggeri kämpften; die Eidgenossen hatte Julius II. 1506 als Leibwache berufen. Am 6. Mai 1527 standen 189 Gardisten im Dienst. 42 von ihnen waren bei Clemens VII., den seine Umgebung zur Flucht drängte. Die übrigen postierten sich bei der Peterskirche, wo sie bis zum letzten Mann kämpften und fielen.

Gegen 10 Uhr

  • Bis gegen zehn Uhr waren die Sieger damit beschäftigt, den letzten Widerstand zu ersticken. Ein Vierzehntel der Ewigen Stadt war erobert. Wie sollte es weitergehen?
     
  • Darüber beratschlagten um dieselbe Zeit auch die Römer. Sie rief die Sturmglocke des Kapitols zu einer ausserordentlichen Sitzung des Stadtrates zusammen. Er war das wichtigste Organ der Stadtgemeinde, die auf diesem altehrwürdigen Hügel ihren Sitz hatte. Im 14. Jahrhundert schwang sie sich zeitweise zur Herrschaft über Rom auf. Doch diese grossen Zeiten waren lange vorbei. Die Macht lag jetzt beim Papst und seinen Behörden; die städtischen Gremien führten fast nur noch deren Anweisungen aus. Speziell der Wunsch nach neuen Steuern war für den Stadtrat de facto (nach Lage der Dinge) ein Befehl. Jetzt aber hatten auf einmal andere im Vatikan das Sagen.

Bedächtiges Verhalten in der Stadt

Das zeigte sich sofort. Renzo Orsini (Condottiere im Dienst des Kirchenstaates) stiess mit seinem Dringlichkeitsantrag, sofort alle waffenfähigen Männer zur Verteidigung der noch nicht eroberten Stadt zusammenzuziehen, auf keine Gegenliebe. Erst einmal solle man doch erörtern, wie es zur Einnahme des Borgo überhaupt kommen konnte. Damit war die Schuldfrage gestellt - und Orsini zum Sündenbock gemacht.

  • 67: Die Tiberbrücke abreissen? Und wer sollte sie hinterher wieder aufbauen - und mit wessen Geld? Orsini traute seinen Ohren nicht. Offenbar hatte sich der Ernst der Lage nicht herumgesprochen. Die meisten Römer waren davon überzeugt, dass es nicht sie, sondern allenfalls die anderen treffen würde. Stadtadel und gehobener Mittelstand setzten auf ihre nützlichen Netzwerke, die sie doch wohl vor dem Schlimmsten bewahren sollten. Vom Kapitol war also keine Hilfe zu erwarten.  In der Zwischenzeit hatte Clemens VII. von der sicheren Engelsburg aus einen letzten Versuch unternommen, das Allerschlimmste abzuwenden. Er liess beim Prinzen  von Oranien (auf der Seite von Karl V.) die  Bedingungen für einen Waffenstillstand sondieren. Diese liefen, wie nicht anders zu erwarten war, auf eine quasi bedingungslose Kapitulation hinaus; so sollte der Papst Trastevere abtreten, von wo aus das übrige Stadtgebiet unschwer zu erreichen war.

Aber auch von der anderen Tiberseite strömten Flüchtlinge zur Festung; die meisten Kardinäle schafften es rechtzeitig, einer von ihnen wurde noch in einem Korb per Flaschenzug emporgehievt, dann rasselte das Eisengitter herab und die Tore schlossen sich.
 

Zahlreiche Personen flüchten in die Engelsburg

66: So aber konnte sich der selbst jetzt noch zögerliche Papst zusammen mit Kardinälen und Prälaten über den Fluchtkorridor auf der Mauer in die Engelsburg retten. Dasselbe Refigium versuchten immer mehr verzweifelte Bewohner des Borgo zu erreichen. Denn die entfesselten Söldner kannten kein Pardon, selbst die Kranken des Hospitals Santo Spirito, darunter Kinder und Greise, wurden niedergemetzelt.

Der frühe Nachmittag

  • So begann am frühen Nachmittag der Angriff gegen Trastevere. Eine Erstürmung wie am Morgen war hier gar nicht mehr nötig. Sowohl bei der Porta Settimana in der Nähe des Tibers wie bei der Porta Pancrazio auf dem Gianicolo drangen Deutsche und Spanier nach kurzem Gefecht ins Stadtgebiet ein.

Um 17 Uhr Kämpfe einstellen!

  • Auch an den Brücken, wo  die Verteidiger teilweise todesmutig kämpften, war gegen 17 Uhr alles zu Ende; letzte Kontingente des römischen Stadtadels warfen sich den Erobern noch in Höhe der Cancelleria am heutigen Corso Vittorio Emanuele II. entgegen und wurden niedergemacht. Rom war jetzt eine offene Stadt.
     
  • 68:  Und gewann doch noch eine letzte Atempause. Denn die provisorische Führung der Sieger fürchtete das Ligaheer (des französischen Königs Franz I.). Wo genau es sich befand, wusste niemand, doch weit konnte es nicht sein. Höchste Vorsicht war also angebracht. Und so stemmten sich die Hauptleute - die letzten, die noch über Autorität verfügten - dem immer lauter werdenden Ruf nach Plünderung entgegen. Mit äusserster Anstrengung gelang es ihnen, ihre Männer zusammenzuhalten: die deutschen Landsknechte auf dem Campo dei Fiori, die Spanier auf der Piazza Navona, die italienischen Kontingente bei der Engelsbrücke. 

Das Wappen des XIII. Rione (Bezirk Trastevere) der Stadt Rom. Bei farbigen Abbildungen ist der Löwenkopf golden, der Hintergrund rot dargestelt. Landsknechte drangen nach 14 Uhr in diesen Stadtteil vor.

Bild von der furchtbaren, monatelangen Plünderung Roms durch die Söldner Karls V., die hungernd, ohne Sold, verzweifelt, aufgebracht und disziplinlos in die Ewige Stadt eindrangen. Die geplagten und eingeschüchterten Stadtbewohner/innen finden Zuflucht  auf einem Lager- und Verpflegungsplatz. Eine provisorische Zeltblache gibt auch Schutz für Pferde. Am rechten Bildrand unten mögliches Habgut von Söldnern.

21 Uhr

Sorgen machte sich weiterhin auch der Kommandostab um den Prinzen von Oranien, und zwar keineswegs unbegründet. Gegen 21 Uhr erschien ein Vorauskommando des Ligaheeres mit 500 Reitern und 800  Schützen vor den Mauern. Doch sein Kommandant Guido Rangone wagte den grossen Coup, sich mit einem so kleinen Aufgebot auf die ermatteten Sieger  zu stürzen, nicht. Die Vorhut kam, sah und zog sich zurück.

Die lange Nacht vom 6. auf den 7. Mai

Inzwischen hatte sich die Dunkelheit über die Ewige Stadt gesenkt. Dann lang anhaltende Trommelwirbel. Sie waren das Zeichen, dass jetzt die Stunde der Söldner schlug. Sechs Monate extremer Strapazen lagen hinter ihnen. Und jetzt gehörte ihnen die reichste Stadt der Welt. Sie mussten nur noch zugreifen. Das Signal zur Plünderung markierte zugleich die Abdankung der Führung. Befehle wurden von jetzt an nicht mehr befolgt. Der gemeine Mann hatte die Herrschaft ergriffen. Doch es herrschte nicht im Zeichen von Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern überr eine rechtlose Masse von 50'000 Römern. 
Rasch wurde die Schwärze der Nacht von den wandernden Lichtpunkten der Fackeln gesprenkelt (gepunktet), die Totenstille wich den Schreien der Gepeinigten und dem Röhren von Feuersbrünsten. Spätestens an diesem Punkt löste sich für die Römer die Geschichte in Geschichten des Schreckens auf. Aber für die Feinde war ein Märchen angebrochen. 

Die ungebremste Suche nach Beute

  • 70: Schlaraffenland auf Söldner-Art. In ihrer Nacht der Nächte leitete die neuen Herren kein Plan, sondern der reine Instinkt. Gruppenweise durchzogen sie die Strassen auf der Suche nach Beute. Ihre ersten Ziele waren die Paläste der Reichen. In ihnen muste das sagenhafte Gold dieses Eldorados (Paradieses) zu finden sein. Kardinäle, Adelige und Grosskaufleute hatten es in den letzten Tagen oder Stunden noch so viele Bewaffnete wie möglich angeworben, die dann fehlten.
     
  • Am glimpflichsten kam davon, wer zufällig so viel Geld im Hause hat, wie die Eindringlinge  erwarteten. Als sich die Schlinge um die Ewige Stadt zuzuziehen begann, setzte ein Run auf Schaufeln und Spaten ein; wer auch nur ein kleines Stück Garten sein  Eigen nannte, vergrub dort seine Preziosen (Kostbarkeiten). Zum Hunger nach Gold kam die sexuelle Gewalt - Schreckensberichte von Massenvergewaltigungen in Nonnenklöstern und anderswo machten die Runde. 
     
  • 71: Die Paläste der Kardinäle della Valle und Enckevoirt etwa wurden ausgeplündert wie alle anderen vornehmen Behausungen auch. Auch wer wenig hatte, musste geben.

Die fürchterlichen Herren Roms

  • 72: Alle Hoffnungen, dass  die Schrecken wenigstens bald ein Ende haben werden, schwanden rasch. Das Hauptheer der Liga war viel weiter entfernt, als Bourbon vermutet hatte; es lagerte in Perugia, und sein Feldherr  machte keinerlei Anstalten, dem Papst zur Hilfe zu eilen.  Am 22. Mai 1527  schliesslich rückte Della Rovere, wie gewohnt von seinen Hauptleuten bedrängt,  zwar bis auf einen Tagesmarsch an die Ewige Stadt heran, doch zu mehr war er nicht zu bewegen.
     
  • Am Ziel ihrer Wünsche fühlten sich die Söldner. Nach der ersten Nacht der Raserei gingen sie planvoller vor, und zwar nach Herrenrecht: als Herren Roms und wie grosse Herren zugleich. Karl V. hatte es nur Franz I. vorgemacht: Gefangene erpresse man nach Strich und Faden.
     
  • Man schätzt, dass durch diese Plünderungen rund 12'000 Menschen starben und eine Beute von rund 12 Millionen im Raume steht (Aloys von Euw). Über 90 Prozent der Kunstschätze in Rom, darunter die Goldschmiedearbeiten der Kirchen, wurden während der Plünderungen geraubt.

Bereits am 5. Juni 1527: Engelsburg mit spanischer Besatzung besetzt

  • 75: Das Misstrauen der Söldner bekam vor allem der Papst zu spüren. Schon am 5. Juni 1527 hatte Clemens VII. die Engelsburg an eine spanische Besatzung übergeben müssen. Der zu diesem Zweck aufgestellte Vertrag war eine vollständige Kapitulation, ja eine faktische Abdankung. Neben der Abtretung von Festungen und Städten musste der Gefangene die Zahlung von 400'000 Dukaten, davon ein Viertel sofort, versprechen und zehn vornehme Geisseln stellen. Dieser harrt ein hartes Schicksal: den Launen der Sieger ausgeliefert, wurden sie mehrfach mit dem Tod bedroht. Der Papst musste sich die geforderte Summe mit Wucherdarlehen zusammenbetteln und ganze Provinzen verpfänden.

Provinzen des Kirchenstaates um 1520 (Papst Leo X.). Von oben nach unten: Bologna - Ravenna - Urbino - Ancona - Spoleto - Viterbo - Sutri - Rom

Folgen

Nach einer mehrwöchigen Belagerung der Engelsburg kapitulierte Papst Clemens VII. am 7. Juni 1527. Er musste die Festungen Ostia, Civitavecchia und Civita Castellana übergeben, auf die Städte Modena, Parma und Piacenza verzichten und 400'000 Dukaten sowie Lösegeld für die Befreiung der Gefangenen zahlen. Am 6. Dezember wurde die belagerte Engelsburg freigegeben und Clemens VII. zog nach Orvieto.

 

Auszüge aus "Volker Reinhardt, Blutiger Karneval: Der  Sacco di Roma 1527 - eine politische Katastrophe", 2009, WBG Darmstadt.
Prof. Dr. Volker Reinhardt, Historiker, Universität Fribourg

Die Bilder ohne Nachweis sind aus dem Internet.

Idee: Werner Affentranger, a. Hauptlehrer KV, Bottmingen CH