Armee, die Kleinste der Welt. Eine Korrektur.

Die Päpstliche Schweizergarde im Staat der Vatikanstadt

Die älteste aktive Armee der Welt ?    Die kleinste Armee der Welt ?

Wie es eine leidige Abschreibe-Korrespondenz in der Wirtschaft gibt, bedienen sich viele Personen dem Abschreibe-Journalismus. Man übernimmt Schlagwörter, ohne sie zu prüfen, beispielsweise die oft gelesene Behauptung, die Päpstliche Schweizergarde im Vatikan sei die kleinste Armee der Welt. Diese Aussage bedarf einer Korrektur.

Der ehemalige Gardekommandant und ehemalige Instruktions-Oberst im Generalstab der Schweizer Armee, Pius Segmüller (Kommandant von 1998 – 2002), wurde in einem der ersten Interviews darauf aufmerksam gemacht, dass er nun die kleinste Armee der Welt führe. „Die Garde ist keine Armee“, erwiderte er, „eine Armee hat Land und Leute zu schützen und zu verteidigen. Das ist hier nicht der Fall.“

alt Gardekommandant Dr.  Robert Nünlist (Kommandant von 1957 – 1972), vor seinem Gardeeintritt Oberst im Generalstab der Schweizer Armee, Kommandant der Infanterieschulen Luzern und Stabschef des 2. Armeekorps, meinte in seinem Aufsatz ‚Acriter et fideliter‘: „Die Schweizergarde ist das älteste, aktive militärische Korps der Welt“. (Der Schweizergardist Nr. 18. Februar 1975)

Zu einem weiteren Kommandanten der Garde, der Anlass zur Klarstellung der Gardeaufgaben gab. Altkaplan Paul Krieg schreibt über alt Oberst Jules Repond (Oberst von 1910 - 1921) im Buch „Die päpstliche Schweizergarde“, 1948, Seite 30: „In der Wahl der Mittel jedoch, um dieses Ziel zu erreichen (u. a. Disziplin, Aufgabenbereitschaft), zeigte Oberst Repond nicht immer eine glückliche Hand, weil er vergass, dass die Schweizergarde keine Linien- und Kampftruppe ist, sondern eine Palastwache mit besonderen Eigenheiten und Traditionen.“ Repond untermauerte damals die Kampfbereitschaft der Gardisten mit überspanntem Exerzieren, spezieller Waffenausbildung, mit Übungen von Abwehrdispositiven, gar mit Nachtalarmen.

Zum neuesten Beispiel: Papst Franziskus hat zum Vereidigungstag 2018 von einem „historischen und verdienstvollen Korps“ gesprochen.

Zur Garde selbst: Das Gardereglement vom 16. Januar 2006, Kapitel I, Art. 1, gibt vor: „Die Päpstliche Schweizergarde, 1506 von Papst Julius II. gegründet, ist ein aus Schweizer Bürgern gebildetes Militärisches Korps, dessen Hauptaufgabe es ist, ständig über die Sicherheit des Papstes und Seiner Residenz zu wachen.“ 

Gardeangehörige links des Jeeps im Personenschutz  tätig, rechts die Gendarmen des Vatikanstaates

Zu beachten ist zusätzlich das Schweizerische Militärstrafgesetz: Schweizer Bürger leisten im Vatikan, also im Ausland, fremde Dienste. Das wäre nach Schweizerischem Militärstrafgesetz strafbar. Da dieses im Vatikan bezeichnete militärische Korps in der Schweiz als einfache Wachpolizei gehandelt wird, ist dieser fremde Dienst gemäss Schweizerischem Militärstrafgesetz, Art. 94, straffrei. Dieses Gesetz macht deutlich, dass die Garde in der Schweiz nicht als Armee gehandelt wird.

Der Schweizer Gardist hat für die Dauer seines Dienstes im Vatikanstaat den Wehrpflichtersatz zu bezahlen. Verschiedene parlamentarische Initiativen (Jahre 1985, 2000, 2007, 2017, 2019) versuchten die Befreiung dieses Ersatzes. Der Gardedienst aber gilt nach der Lesart des Schweizerischen Bundesrates nicht als Militärdienst zu Gunsten der Schweiz, sondern als  Polizeidienst  zu Gunsten des (aus schweizerischer Sicht) Vatikanstaates (Andreas Wicky).

Ich komme zurück auf die Aussage von alt Oberst Segmüller. Eine Armee hat  Land und Leute zu schützen. Wie kann ich diese Verpflichtungen in einer Armee lesen? Bei den Soldaten des Österreichischen Bundesheeres erfolgt nach vier Wochen Ausbildung die Angelobung. Die Gelöbnisformel lautet: „Ich gelobe, mein Vaterland, die Republik Österreich, und sein Volk zu schützen und mit der Waffe zu verteidigen“. 

Österreich: Angelobung bei der Garde in der Maria-Theresien-Kaserne in Wien. Die Fahnenabordnung  tritt mit der Angelobungsfahne vor.
Siehe unter https://de.wikipedia.org/wiki/Angelobung

Bei den Soldaten der Deutschen Bundeswehr lautet der Diensteid am Anfang ihrer Dienstzeit: „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“

Diensteid oder Gelöbnis von Soldaten der Deutschen Bundeswehr
https://de.wikipedia.org/wiki/Vereidigung_und_Gelöbnis_von_Soldaten_der_Bundeswehr

Bei der Schweizerischen Armee wird der Eid oder das Gelübde zu Anfang des Aktivdienstes abgelegt: „Ich schwöre/ich gelobe, der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit ganzer Kraft zu dienen, Recht und Freiheit des Schweizervolkes tapfer zu verteidigen, meine Pflichten auch unter Einsatz meines Lebens zu erfüllen; der eigenen Truppe treu zu bleiben und in Kameradschaft zusammenzuhalten; die Regeln des Kriegsvölkerrechts einzuhalten.“

Siehe unter https://de.wikipedia.org/wiki/Vereidigung_(Schweiz)

Bei den erwähnten Armeen schwören oder geloben  die Soldaten, Land und Leute zu verteidigen. Dazu möchte ich die Verpflichtungen der Päpstlichen Schweizergardisten vergleichen. Hier spricht der Kaplan bei der Vereidigung die Eidesformel: „Ich schwöre, treu, redlich und ehrenhaft zu dienen, dem regierenden Papst NN und seinen rechtmässigen Nachfolgern, und mich mit ganzer Kraft für sie einzusetzen, bereit, wenn es erheischt sein sollte, für ihren Schutz selbst mein Leben hinzugeben. Ich übernehme dieselben Verpflichtungen gegenüber dem Kollegium der Kardinäle während der Sedisvakanz des Apostolischen Stuhles.“ Dann folgen die Versprechungen gegenüber dem Kommandanten und den Vorgesetzten.

Der schwörende Gardist bestätigt: „Ich, NN, schwöre, all das, was mir soeben vorgelesen wurde, gewissenhaft und treu zu halten, so wahr mit Gott und unsere heiligen Patrone helfen.“

Siehe unter: https://www.schweizergarde.ch

Der Gardist schwört also nicht, das Recht und die Freiheit der Vatikaneinwohnerinnen und -einwohner zu verteidigen noch die Regeln des Kriegsvölkerrechts einzuhalten. Genau genommen muss er gar nichts schützen und verteidigen; sein Arbeitgeber ist das nichtstaatliche souveräne Subjekt der völkerrechtlichen Beziehungen, der Heilige Stuhl, ohne Land und Leute. Angenommen, die Garde müsste den 0,44 km2 grossen Staat der Vatikanstadt (winzig grösser ist die waadtländische Gemeinde Mauraz mit 0,47 km2) und die flächenmässig noch grösseren Hoheitsgebiete in und ausserhalb Roms mitverteidigen,  beispielsweise die Papstbasiliken, Castel Gandolfo oder die Parzelle von Radio Vatikan nördlich Roms, von den  vielen Besitzen im Ausland nicht zu sprechen, wäre sie mit einem Mannschaftsbestand von 135 Mann (Stand April 2021)  völlig überfordert. Armeeaufgaben wären nicht lösbar; die Gardisten haben keine entsprechende Ausbildung und die notwendigen Waffen fehlen (Gardisten mit Panzerabwehrlenkwaffen, einem Flugabwehrwaffen-System oder einer Drohnenüberwachung?). Und letztlich würde der Papst, so schreibt es die Geschichte, fraglos auf Waffengebrauch verzichten.

Und doch sind Zuverlässigkeit, Einsatzbereitschaft und Treue der Päpstlichen Schweizergarde gefragt und bekannt. In einem Passus im neuen Grundgesetz des Staates der Vatikanstadt vom 26. November 2008, Art. 14, heisst es: „Der Präsident der Päpstlichen Kommission des Staates der Vatikanstadt (Governatorat) kann sich aus Sicherheits- und polizeilichen Gründen neben der Gendarmerie des Vatikanstaates der Hilfe der Päpstlichen Schweizergarde bedienen.“ Grund genug, wieder einmal darauf hinzuweisen, dass die Garde diesem Passus auch schon früher nachlebte. In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts war die ganze Garde erfolgreich bei der Bekämpfung eines grossen Brandes in der Wohnung und in den darüber liegenden Räumen von Staatssekretär Pallavicini. Ihm muss dieser ausserdienstliche Gardeeinsatz einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. Jeder Gardist erhielt von ihm einen Dankesbrief mit 18 Scudi Inhalt. Der  Maggiordomo muss diesen erfolgreichen Einsatz  mit offenem Mund und Staunen mitverfolgt haben. Er beschenkte die Leibgarde mit 75 Broten und 97 Liter Wein (Es brennt zu wenig im Vatikan). – Ein anderer, unerwarteter Einsatz zur Sicherung von Palast und kulturellen Schätzen bleibe nicht unerwähnt. Am 1. November 1903 brannte die Wohnung des Präfekten der Vatikanischen Bibliothek. Ein mutiger Gardist, Alex Wurmann, holte sich mit seinem ausserordentlichen Einsatz  die Auszeichnung Benemerenti (Paul Krieg).

Zurück zur Gründung der Schweizergarde: Papst Julius II. wünschte sich mit einem Brief an die Schweizerische Tagsatzung im Jahre 1505 eine Leibgarde aus Schweizern mit Treue und Waffenhandhabung. Er versprach, sie ausschliesslich zu seinem eigenen Schutz einzusetzen. 

Bis jetzt wird die Päpstliche →Schweizergarde als  das älteste, aktive militärische Korps der Welt  mit folgenden fünf Aufgaben geführt:

  1. Kontrolldienst
  2. Ordnungsdienst
  3. Objektschutz
  4. Personenschutz und
  5. Ehrendienst 

Mehr Aufgaben bei 135 Mann sind bis jetzt nicht gefragt, aber wachsende Ansprüche verlangen Handlungsbedarf. Sie werden zurzeit u. a. in der Rekrutenschule  abgedeckt durch eine 4-wöchige Ausbildung im Vatikan und eine 4-wöchige Ausbildung in einem schweizerischen Polizeikorps.

→Buchstabe C: Cavalleggeri und die Lance Spezzate von
    Ulrich Nersinger: Zwei unbekannte historische Leibwachen des Papstes
→Startseite, Schweizergarde: Geschichte der Päpstlichen Schweizergarde
→Startseite, Schweizergarde: Wahlspruch der Päpstlichen Schweizergarde

© 2023, Werner Affentranger, Exgardist, Bottmingen CH